„Twitter in Plain English" – 3,2 Millionen Views, 2007 veröffentlicht, und plötzlich verstand die ganze Welt, was ein Tweet ist. Lee LeFever von Common Craft nahm ein Blatt Papier, ein paar ausgeschnittene Figürchen und erklärte in drei Minuten, wofür Twitter-Gründer damals noch Stunden brauchten. Das war der Moment, in dem Erklärfilme von einem netten Experiment zu einem unverzichtbaren Kommunikationswerkzeug wurden.
Heute, fast zwei Jahrzehnte später, haben sich Erklärvideos als die vielleicht mächtigste Form der digitalen Kommunikation etabliert. Aber was genau macht die wirklich großen, die weltweiten Champions aus? Welche Filme haben nicht nur Millionen von Views gesammelt, sondern ganze Branchen und Denkweisen verändert?
Der Urknall: Common Craft und die Twitter-Revolution
Lee LeFever wusste wahrscheinlich nicht, dass er gerade ein ganzes Genre erfinden würde. Sein „Twitter in Plain English" war simpel: Papierfiguren auf einem weißen Tisch, eine ruhige Stimme, die ohne Fachjargon erklärte. Kein Schnickschnack, keine aufwendigen Animationen – nur pure Verständlichkeit.
Das Geniale daran? LeFever erkannte etwas, was viele Tech-Unternehmen damals übersahen: Menschen brauchen nicht mehr Features erklärt, sondern den grundlegenden Nutzen. Warum sollte ich twittern? Was bringt mir das? Diese Fragen beantwortete er in einer Sprache, die jeder verstand.
Common Craft produzierte danach Dutzende weitere Erklärfilme – zu RSS-Feeds, zu Wikis, zu Social Bookmarking. Jedes Video folgte demselben Prinzip: Komplexes wird einfach, ohne dabei oberflächlich zu werden. Das war die Geburtsstunde dessen, was wir heute als Legetechnik kennen. Laut einer Studie der University of Minnesota unterstützen visuelle Inhalte die Wissensaufnahme und sorgen für eine um 65 % höhere Informationsbehaltensrate.
Dropbox: Wie ein Startup zum Milliarden-Unternehmen erklärte
2009 hatte Dropbox ein Problem. Cloud-Storage? Was zur Hölle war das denn? Drew Houston, der Gründer, merkte schnell: Ohne ein Video, das das Konzept erklärt, würde niemand verstehen, warum man seine Dateien in die „Wolke" packen sollte.
Das Dropbox-Erklärvideo war revolutionär – nicht wegen der Animation, sondern wegen der Geschichte, die es erzählte. Ein Mann arbeitet am Laptop, steht auf, geht zum Desktop-Computer, und seine Dateien sind einfach da. Magie? Nein, Dropbox.
Das Video half dem Unternehmen dabei, von 75.000 auf 1 Millionen Nutzer zu wachsen. Laut Wyzowl haben sich 87 % der Menschen nach dem Ansehen eines Erklärvideos für den Kauf eines Produkts oder einer Dienstleistung entschieden. Heute ist Dropbox über 10 Milliarden Dollar wert. Zufall? Wohl kaum.
WHO und die Macht der Krisenkommunikation
Als 2020 die Pandemie ausbrach, stand die WHO vor einer beispiellosen Herausforderung: Wie erklärt man komplexe Hygienemaßnahmen so, dass sie jeder Mensch auf der Welt versteht – unabhängig von Bildung, Sprache oder kulturellem Hintergrund?
Die Antwort: Animierte Erklärfilme. Händewaschen in 20 Sekunden, Abstand halten, Masken richtig tragen – alles wurde in simple, universell verständliche Animationen übersetzt. Diese Videos wurden millionenfach geteilt, in Dutzende Sprachen übersetzt und retteten buchstäblich Leben.
Was hier besonders beeindruckt: Die WHO bewies, dass Erklärvideos nicht nur Marketing-Tools sind, sondern Instrumente für gesellschaftliche Veränderung.
Google: Meister der Produkteinführung
Google hat eine ziemlich beeindruckende Erfolgsbilanz, wenn es um Erklärfilme geht. Egal ob Google Glass, Google Drive oder die neuesten KI-Features – fast jedes neue Produkt wird mit einem Erklärvideo eingeführt.
Besonders clever: Google erklärt nicht nur, wie etwas funktioniert, sondern warum es das Leben besser macht. Das Google Drive-Video von 2012 zeigte nicht einfach nur Features, sondern erzählte die Geschichte einer Studentin, die ihre Abschlussarbeit von überall bearbeiten konnte. Emotional, relevant, verständlich.
Heute nutzt Google Erklärvideos als integralen Bestandteil seiner Produktstrategie – und das mit Erfolg. Jeder neue Service wird erst dann richtig verstanden, wenn das dazugehörige Erklärvideo veröffentlicht ist.
TED-Ed: Bildung für die Welt
TED-Ed hat etwas Faszinierendes geschafft: Komplexeste wissenschaftliche Konzepte in 4-6 Minuten zu packen und dabei so spannend zu bleiben, dass Millionen Menschen freiwillig lernen.
„How does anesthesia work?" – 2,5 Millionen Views. „What happens when you die?" – 4,8 Millionen Views. „The history of the world in 18 minutes" – über 10 Millionen Views.
Das Geheimnis? TED-Ed versteht, dass Lernen Spaß machen muss. Jedes Video ist eine kleine Geschichte, jede Animation ist durchdacht, jede Metapher perfekt gewählt. Sie haben bewiesen, dass Erklävideos im Bildungsbereich nicht nur funktionieren, sondern geradezu unverzichtbar sind.
Slack: B2B-Kommunikation neu definiert
Als Slack 2013 startete, war Workplace-Kommunikation ziemlich… naja, langweilig. E-Mails über E-Mails, endlose Meetings, verlorene Nachrichten.
Das Slack-Erklärvideo war ein Meisterwerk der B2B-Kommunikation. Statt trockener Feature-Listen erzählte es die Geschichte eines Teams, das endlich effizient zusammenarbeitete. Keine Buzzwords, keine technischen Details – nur die Lösung für ein Problem, das jeder kannte.
Das Video half Slack dabei, eine der am schnellsten wachsenden B2B-Plattformen aller Zeiten zu werden. Von null auf 26 Milliarden Dollar Bewertung in weniger als einem Jahrzehnt.
RSA Animate: Wenn Vorträge zu Kunstwerken werden
Die Royal Society for the encouragement of Arts, Manufactures and Commerce (RSA) hatte eine geniale Idee: Was, wenn wir die besten Vorträge der Welt nehmen und sie als gezeichnete Geschichten erzählen?
„The Power of Vulnerability" von Brené Brown, visualisiert als RSA Animate – über 4 Millionen Views. „Drive: The surprising truth about what motivates us" von Dan Pink – fast 14 Millionen Views.
RSA Animate bewies etwas Wichtiges: Selbst die komplexesten Ideen werden zugänglicher, wenn sie visuell erzählt werden. Die RSA Animate-Reihe zeigt, wie animierte Erklärvideos komplexe Ideen zugänglich machen und Millionenpublikum inspirieren. Sie schufen ein Format, das heute in unzähligen Varianten von Erklärvideos nachgeahmt wird.
Khan Academy: Eine Million Schüler, ein Mann, ein Vision
Sal Khan begann 2004 damit, seiner Cousine Mathematik zu erklären. Heute nutzen über 100 Millionen Menschen seine Plattform.
Das Besondere an Khan Academy-Videos? Sie sind unglaublich persönlich. Khans Stimme, seine Art zu erklären, seine manchmal unvollkommenen Zeichnungen – alles fühlt sich an, als würde ein geduldiger Lehrer neben dir sitzen.
Khan Academy bewies, dass erfolgreiche Erklärfilme nicht perfekt sein müssen. Sie müssen nur authentisch sein und echte Probleme lösen.
Spotify: Musik erklären ohne Musik
Als Spotify 2011 in den USA startete, war Musik-Streaming noch ein ziemlich fremdes Konzept. Wie erklärt man Menschen, die ihr Leben lang CDs gekauft haben, dass sie plötzlich auf 50 Millionen Songs zugreifen können?
Das Spotify-Erklärvideo war brilliant einfach: Ein Typ hört Musik am Computer, steht auf, und die Musik geht auf seinem Handy weiter. Dann im Auto. Dann beim Joggen. Die Botschaft: Deine Musik, überall, jederzeit.
Heute hat Spotify über 500 Millionen Nutzer. Das Erklärvideo war der erste Schritt auf diesem Weg.
Was können wir von den Champions lernen?
Nach all diesen Beispielen – was macht die wirklich großen Erklärfilme aus?
Erstens: Sie lösen echte Probleme. Nicht irgendwelche konstruierten Marketing-Probleme, sondern Dinge, die Menschen tatsächlich beschäftigen.
Zweitens: Sie erzählen Geschichten. Nicht über Produkte, sondern über Menschen, die diese Produkte nutzen.
Drittens: Sie sind mutig einfach. Während andere mit Features und Technik prahlen, konzentrieren sich die Champions auf das Wesentliche.
Und viertens: Sie verstehen ihre Zielgruppe. Jedes erfolgreiche Erklärvideo spricht die Sprache der Menschen, die es erreichen will.
Ein klar definiertes Ziel ist entscheidend für die Wirksamkeit jedes Erklärvideos.
Die Zukunft gehört denen, die erklären können
Mir fällt immer wieder auf, wie viele Unternehmen noch immer denken, kompliziert klingt kompetent. Dabei beweisen die erfolgreichsten Erklärfilme der Welt genau das Gegenteil: Wer komplexe Dinge einfach erklären kann, gewinnt.
In einer Welt, die täglich komplexer wird, sind Erklärvideos nicht nur Nice-to-have, sondern absolute Notwendigkeit. Die Champions zeigen uns den Weg – wir müssen nur mutig genug sein, ihn zu gehen.
Vielleicht ist das der wichtigste Punkt: Die besten Erklärfilme entstehen nicht in Konferenzräumen, sondern aus dem echten Bedürfnis heraus, verstanden zu werden. Und das, ehrlich gesagt, ist heute wichtiger denn je.